Beitragsseiten

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, 
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
liebe Kolleginnen und Kollegen,…
oder ganz einfach

liebe Gedenkende!
 

Wir brauchen - davon bin ich überzeugt-, Orte und Anlässe gemeinsamer Erinnerung.

So wie diese Gedenkstunde.

Diese Mahnwache wird in diesem Jahr zum 29. Mal in Bergisch Gladbach veranstaltet … ein gutes Zeichen, denke ich, dafür, dass die Beteiligten sich der historischen Verantwortung stellen. 

Wir blicken gemeinsam zurück auf diese Nacht, in welcher hier in Bergisch Gladbach, wie auch in ganz Deutschland, Menschen und ihr Eigentum zu Zielscheiben des Hasses und der Gewalt des Naziregimes wurden… 

Das Erinnern beschämt, bestürzt und irritiert – es schmerzt- und doch müssen wir leider feststellen: Die Bearbeitung und Aufarbeitung von Nazismus, Rassismus und Antisemitismus ist eine Aufgabe, die wir lange nicht in ihrer ganzen Dimension gesehen und daher auch nicht angemessen in Angriff genommen haben.

Aus den Verbrechen der Nazizeit müssen wir lernen, damit sich solche Grauentaten nicht mehr wiederholen können. Deshalb müssen wir die Geschichte aufarbeiten und unsere Erfahrungen in der Gegenwart anwenden.

Jetzt, mehr als 80 Jahre später, sind die Nachfolger der damaligen Nazis so stark wie nie zuvor. Nach der Wahl in Thüringen überlegt die CDU ernsthaft, mit der AfD zu koalieren. Dabei stellt sich für mich die Frage, ob man überhaupt mit Nazis reden sollte?

Zu den Grundsätzen einer Demokratie gehört es, miteinander zu reden und Konflikte verbal auszutragen. Daher wirkt es auf den ersten Blick durchaus legitim, wenn Rechtsextreme fordern, dass auch mit ihnen geredet wird. Wichtig ist, dass Rassismus und Hass nicht unwidersprochen stehen.

Für mich gibt es ein ganz klares -nein-!

Ich rede nicht mit Nazis,- solange die nur pöbeln,- bedrohen und alles niederschreien wollen. Sie wollen nicht diskutieren. -Sie wollen keine Argumente abwägen, kein reflektiertes Urteil fällen. Sie wollen provozieren, anpöbeln, bedrohen, niederschreien, ihre Ideologie verbreiten und ihre Aggressionen abladen bei jemandem, den sie als politischen Gegner oder einfach als hassenswerten Untermenschen ansehen. Wenn ihnen zu einem Thema nichts mehr einfällt, machen sie einfach ein nächstes auf, und die Predigt geht von vorne los. Sie wollen Minderheiten und Andersdenkende mundtot machen, ermüden, entmutigen. Immer wieder bringen sie die gleichen Ideologie-Versatzstücke, die sie als "Copy & Paste" bei "Vordenkern" der Szene aufgeschnappt haben. Das ist nicht nur dumm, sondern auch noch langweilig. Nein, ich möchte nicht mit Nazis und Rechtspopulist_innen reden. Wirklich nicht.

 

Ich bin sehr aktiv in der virtuellen Welt. Ich betreue und pflege einige Social Media Kanäle. Vor allem auf Facebook bin ich sehr aktiv. Auf dieser Plattform gibt es die Seite "Netz gegen Nazis", aber wenn ich mir manchmal die Kommentare in sozialen Netzwerken angucke dann heißt diese Seite für Neonazis offenbar "Netz für Nazis, die mal mit Andersdenkenden diskutieren wollen" oder "Netz für 'Ich bin kein Rassist, aber'- Generell haben sich Neonazis Social Media angenommen und versuchen gezielt sämtliche Diskussionen zu verhindern.

Mit Neonazis diskutieren bringt auch online nichts, denn sie hören auch dort nicht zu, sie lassen keine Belege gelten, gehen selten auf Argumente ein. In anderen Communities, in denen Neonazi-Beiträge nicht gelöscht werden, weil man es als Teil des redaktionellen Auftrags versteht, alle Kommentare zuzulassen, empfehle ich: Sich nicht von den Neonazis im eigentlichen Gespräch stören lassen. Anstatt mit ihnen in der Argumentation Lebenszeit zu verlieren, einfach gegen ihre hasserfüllte, rassistische, menschenfeindliche Aussage positionieren, sie benennen, gegebenenfalls widerlegen – und dann weitermachen mit den lösungsorientierten, sinnvollen Gesprächen.

Genau dieses Vorgehen ist sehr wichtig.

 

Es gibt im Internet stets nicht nur den postenden Aggressor, sondern auch eine große, schweigende, mitlesende Öffentlichkeit. Dieser gegenüber ist es sinnvoll, zu argumentieren oder sich zumindest zu positionieren, Rassismus zu benennen, sich gegen Vorurteile und Hass auszusprechen, an Netiquette, Diskussionsregel oder gegebenenfalls Strafgesetze zu erinnern.

Wichtig ist, dass Rassismus, Huldigungen des Nationalsozialismus oder Hass nicht unwidersprochen stehen. Denn wer schon einmal versucht hat, Rechtsextreme einfach machen zu lassen und zu hoffen, dass sie dann aufhören, der wird festgestellt haben: Stattdessen freuen die sich über den vermeintlichen Raumgewinn für ihre Ideologie und nutzen die Situation, um immer mehr und immer krassere Dinge zu verbreiten, ihre Ideologie zu feiern. Es ist wie bei rechtsextremen Demos: Einige Gemeinden haben versucht, sie in menschenleeren Straßen laufen zu lassen und Gegenproteste zu unterbinden – in der Hoffnung, die mangelnde Aufmerksamkeit würde die Neonazis entmutigen. Stattdessen folgte Anmeldung auf Anmeldung, denn in Städten mit Gegenprotest oder gar Blockaden sind Nazi-Demos viel unbequemer und frustrierender.

In der Publizistik gibt es die Theorie der Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann: Wer glaubt, dass die Mehrheit der Menschen andere Dinge denkt als man selbst, traut sich oft nicht mehr, die eigene Meinung zu äußern. Deshalb sollten wir, auch wenn es bisweilen anstrengend ist, gemeinsam aktiv und argumentativ daran arbeiten, dass es weder auf Veranstaltungen noch in sozialen Netzwerken so wirkt, als wären plötzlich so viele Menschen rassistisch, antisemitisch oder islamfeindlich, dass sich die vernünftigen Menschen nicht mehr trauen, sich am Gespräch zu beteiligen. Der Einsatz lohnt sich für die Unentschlossenen, für die Minderheiten, die angegriffen werden, und für das Klima in den sozialen Netzwerken und in der Gesellschaft.

Liebe Gedenkende,

das, was im Internet gilt, gilt selbstverständlich auch im realen Leben. Wir dürfen rechte Ideologien nicht unwidersprochen stehen lassen. Nicht beim Bäcker, nicht im Supermarkt und erst recht nicht im eigenen Freundes und Bekanntenkreis.

 

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

 

Patrick Graf