Rede anlässlich der Pogromnacht von 1938
am 9. November 2019 an der Kirche St. Josef, Bergisch Gladbach, nahe der Gedenktafel
Erinnern und Handeln!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr 1. stellv. Bürgermeister Willnecker, liebe Redner,
beginnen möchte ich mit einem Dank der Veranstalter, der VVN-BdA und des DGB, an die Kirchengemeinde St. Josef, dass wir hier auf Ihrem Gelände unsere Mahnwache zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht vom 9. November1938 - Gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, für Toleranz und soziale Sicherheit - durchführen können. Sie findet heute zum 29. Mal statt. Ich wünsche auch den zwei weiteren Bergisch Gladbacher Veranstaltungen zur Pogromnacht einen guten Verlauf.
Herzlich begrüßen wir bei uns den 1. stellvertretenden Bürgermeister unserer Stadt, Herrn Josef Willnecker zu einem Grußwort, sowie die Gastredner Adnan Ljura, Vorstandsmitglied des Integrationsrates; Falk Mikosch, NRW- Landessprecher der VVN/BdA aus Düsseldorf und Patrick Graf, Vorsitzender des DGB Rhein-Berg. Wir erwarten aufmerksam ihre Beiträge. Als am 9. September 1938 Synagogen und jüdische Geschäfte in Brand gesetzt und vernichtet wurden, war das Signal für die industrielle Massenvernichtung jüdischer Menschen und für den bevorstehenden schrecklichsten Weltkrieg aller Zeiten gesetzt.
Liebe Freundinnen und Freunde, Sie hören heute einen sehr persönlich gehaltenen Beitrag einer 86-Jährigen Frau, die Ihnen etwas aus ihrem Leben, aus Ihrer Erfahrung mit Faschismus und Krieg vermitteln möchte. Es gibt ja nicht mehr allzu viele Menschen, die das am eigenen Leib erfahren haben. Ich habe an vielen Schulen, auch bei uns in der IGP, vom erlebten Faschismus und Krieg erzählt.
Aber lassen sie mich zuerst hier, in der Nähe des ehemaligen Stellawerkes, einem „illegalen KZ“, wo vor 29 Jahren eine von zwei mutigen Bürgern unserer Stadt initiierte Gedenktafel angebracht wurde, der Opfer der Nazigewaltherr- schaft in Bergisch Gladbach und aller Opfer von Krieg und Faschismus gedenken. Diese Tafel erinnert an die jüdischen Bürger, die dort zwangsinterniert und anschließend in Konzentrationslagern deportiert wurden; an die Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen, die durch die SA hier gefangen gehalten und misshandelt wurden. Wir verneigen uns vor ihnen. Ich habe einige von diesen tapferen Frauen und Männern, die KZ und Emigration überlebt haben, noch kennen lernen dürfen, wie z.B. den jüdischen Journalisten Ismar Heilborn aus Schildgen, Hans Kroll, Carl Schlieper und viele andere. Sie haben in einem im Jahre 1979 von Karl Heinz Schröder herausgegebenen Buch „Antifaschisten aus Bergisch Gladbach berichten“ ihren mit Lebensgefahr verbundenen illegalen Kampf gegen den braunen Terror der Nazis in beeindruckender Weise geschildert. So berichtet z.B. Trautchen Hamacher in einem Interview mit Heinrich Böll, wie sie im Kinderwagen illegale Flugblätter transportiert hat, dafür in Dunkelhaft in der Gefängniszelle hinter unserem Rathaus einsitzen und emigrieren musste. Wir, ihre Freunde von der VVN-BdA, und viele Mitmenschen in der ganzen Welt werden diese tapferen Frauen und Männer nicht vergessen und ihr Vermächtnis erfüllen: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!
Ich bitte Sie, wenn Sie mit Ihren Kindern, Enkeln oder Angehörigen an Häusern vorbeikommen, vor denen Stolpersteine verlegt sind, halten Sie einen Moment inne. Erzählen Sie, dass diese Stolpersteine an ermordete Juden und Jüdinnen aus unserer Stadt erinnern. Erzählen Sie vom Völkermord an der jüdischen Bevölkerung. So helfen wir alle gemeinsam, gegen das Vergessen anzugehen und die antijüdischen Gefahren der Gegenwart abzuwehren.
Und das ist notwendiger denn je, wenn wir an die Ereignisse in Halle denken, an den geplanten Anschlag auf die Synagoge, sowie an den Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke. Solche Zeitungsnachrichten wie
„NRW ist eine rechte Hochburg. Über 400 antisemitische Straftaten an Rhein und Ruhr seit Januar 2018“ schrecken uns auf. Der Umgang in den Parlamenten ist verroht. Die AfD verbreitet völkische Untergangsszenarien und hat rechtsradikales Gedankengut für breite Bevölkerungsschichten salonfähig gemacht. Wir erlebten und erleben in vielen Städten fremdenfeindliche Straßenaufmärsche. Es ist beschämend, dass unsere jüdischen MitbürgerInnen wieder geschützt werden müssen und dass Judenhass in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Hier sind wir Demokraten gefordert!
Meine Generation hat Faschismus, Krieg, Judenverfolgung, Hunger, Not, die schrecklichen Bombennächte, nachts aufstehen und Schutz suchen am eigenen Leib erlebt. Mein Vater wurde 1933 als Lehrer entlassen, weil er in der SPD war, er wurde als jüdisch-bolschewistisch in der Nazipresse diskriminiert. Diesen Presseausschnitt habe ich heute noch. Das alles prägte mich als Kind, als Kriegskind. Ich versuche, meine Lebenserfahrungen an die Jugend weiter zu geben: Ihr seid nicht schuld am Krieg und der Vergangenheit, aber verantwortlich für die Gegenwart, für heute. Lasst nie wieder Krieg und Faschismus zu, setzt euch ein für die Verständigung unter den Völkern! Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt spricht zu Ihnen der 1. stellv. Bürgermeister, Herr Josef Willnecker. Ihm folgen Adnan Ljuna vom Integrationsrat, Falk Mikosch von der VVN-BdA NRW und Patrick Graf vom DGB Rhein-Berg. Musik: F. Kullmann/G. Schaler