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Teilnehmer der Mahnwache. 

Seit 29 Jahren erinnert in Bergisch Gladbach eine Mahnwache an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938, als in Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte in Brand gesteckt wurden. Beinah 75 Jahre nach Ende des Naziregimes sind wir, durch den geplanten Anschlag auf die Synagoge in Halle und dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Zeugen geworden, dass Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus noch nicht überwunden sind. Walborg Schröder, Gründerin und Initiatorin der Mahnwache blickt mit Sorge auf die aktuellen Ereignisse und sagt: «Gegen Antisemitismus und Rassismus, für Toleranz und soziale Gerechtigkeit» ist heute aktueller denn je und hat einen bedrückenden Gegenwartsbezug».

 

Getragen wird die Mahnwache vom VVN-BdA* und dem DGB im Rheinisch-Bergischen Kreis. Sie findet traditionell in der Nähe des ehemaligen Stellawerks statt. Das Werk wurde 1933 von der SA als «wildes» Konzentrationslager genutzt, in dem Oppositionelle und Juden gefoltert und bis zum Abtransport in ein Todeslager gefangen gehalten wurden.


Für den DGB ist fundamental, ein Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus zu setzen. «Die Novemberpogrome vom 1938 markieren den Übergang von der Diskriminierung der Juden zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später zum Holocaust führten. «Wir als Gewerkschafter werden es nicht zulassen, dass in Deutschland wieder Novemberpogrome stattfinden, egal wem gegenüber» so Damian Warias, Gewerkschaftssekretär der DGB-Region Köln-Bonn: «Wir müssen laut sagen, dass alle Formen der Diskriminierung nicht zum normalen politischen Leben gehören, dass wir uns an rassistische und faschistische Äußerungen der undemokratischen Parteien und Gruppierungen nicht gewöhnen werden. Hier gilt es für uns klare Kante zu zeigen. Faschismus und Rassismus sind Verbrechen und gehören nicht zu unserer Gesellschaft!»


Die Mahnwache fand am Samstag, dem 9. November 2019, von 11:00 Uhr bis  12:00 Uhr, auf dem Gelände der Kirche St. Joseph, Lerbacher Weg 2, statt.

Drei Personen, eine spricht.

ERÖFFNUNG: 
Walborg Schröder, VVN-BdA


GRUSSWORTE:  
Josef Willnecker, Stellv. Bürgermeister der Stadt Bergisch Gladbach
Adnan Ljura, Integrationsrat der Stadt Bergisch Gladbach


REDEBEITRÄGE:
Falk Mikosch, Landessprecher der VVN-BdA Nordrhein-Westfalen
Patrick Graf, Sprecher des DGB Rhein-Berg


MUSIK:              
Friedrich Kullmann - ts
Geo Schaller – bs


Im Anschluss erfolgte ein kurzer Schweigemarsch zur Gedenktafel am ehemaligen Stellawerk.

* VVN-BdA - Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

 Quelle: DGB Köln-Bonn
Fotos: Warias Damian (DGB-NRW)


Weitere Fotos:
Mahnwache Bergisch Gladbach 2019


 


 Rede anlässlich der Pogromnacht von 1938

am 9. November 2019 an der Kirche St. Josef, Bergisch Gladbach, nahe der Gedenktafel

Erinnern und Handeln!

 

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrter Herr 1. stellv. Bürgermeister Willnecker, liebe Redner,

beginnen möchte ich mit einem Dank der Veranstalter, der  VVN-BdA und des DGB, an die Kirchengemeinde St. Josef, dass wir hier auf Ihrem Gelände unsere Mahnwache zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht vom 9. November1938 - Gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, für Toleranz und soziale Sicherheit -  durchführen können. Sie findet heute zum 29. Mal statt. Ich wünsche auch den zwei weiteren Bergisch Gladbacher Veranstaltungen zur Pogromnacht einen guten Verlauf.

Herzlich begrüßen wir bei uns den 1. stellvertretenden Bürgermeister unserer Stadt, Herrn Josef Willnecker zu einem Grußwort, sowie die Gastredner Adnan Ljura, Vorstandsmitglied des Integrationsrates; Falk Mikosch, NRW- Landessprecher der VVN/BdA aus Düsseldorf und Patrick Graf, Vorsitzender des DGB Rhein-Berg. Wir  erwarten aufmerksam ihre Beiträge. Als am 9. September 1938 Synagogen und jüdische Geschäfte in Brand gesetzt und vernichtet wurden, war das Signal für die industrielle Massenvernichtung jüdischer Menschen und für den bevorstehenden schrecklichsten Weltkrieg aller Zeiten gesetzt.

Liebe Freundinnen und Freunde, Sie hören heute einen sehr persönlich gehaltenen Beitrag einer 86-Jährigen Frau, die Ihnen etwas aus ihrem Leben, aus Ihrer Erfahrung mit Faschismus und Krieg vermitteln möchte. Es gibt ja nicht mehr allzu viele Menschen, die das am eigenen Leib erfahren haben. Ich habe an vielen Schulen, auch bei uns in der IGP, vom erlebten Faschismus und Krieg erzählt.

Aber lassen sie mich zuerst hier, in der Nähe des ehemaligen Stellawerkes, einem „illegalen KZ“, wo vor 29 Jahren eine von zwei mutigen Bürgern unserer Stadt initiierte Gedenktafel angebracht wurde, der Opfer der Nazigewaltherr- schaft in Bergisch Gladbach und aller Opfer von Krieg und Faschismus gedenken. Diese Tafel erinnert an die  jüdischen Bürger, die dort zwangsinterniert und anschließend in Konzentrationslagern deportiert wurden; an die Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen, die durch die SA hier gefangen gehalten und misshandelt wurden. Wir verneigen uns vor ihnen. Ich habe einige von diesen tapferen Frauen und Männern, die KZ und Emigration überlebt haben, noch kennen lernen dürfen, wie z.B. den jüdischen Journalisten Ismar Heilborn aus Schildgen, Hans Kroll, Carl Schlieper und viele andere. Sie haben in einem im Jahre 1979  von Karl Heinz Schröder herausgegebenen Buch „Antifaschisten aus Bergisch Gladbach berichten“ ihren mit Lebensgefahr verbundenen illegalen Kampf gegen den braunen Terror der Nazis in beeindruckender Weise geschildert. So berichtet z.B. Trautchen Hamacher in einem Interview mit Heinrich Böll, wie sie im Kinderwagen illegale Flugblätter transportiert hat, dafür in Dunkelhaft in der Gefängniszelle hinter unserem Rathaus einsitzen und emigrieren musste. Wir, ihre Freunde von der VVN-BdA, und viele Mitmenschen in der ganzen Welt werden diese tapferen Frauen und Männer nicht vergessen und ihr Vermächtnis erfüllen: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

Ich bitte Sie, wenn Sie mit Ihren Kindern, Enkeln oder Angehörigen an Häusern   vorbeikommen, vor denen Stolpersteine verlegt sind, halten Sie einen Moment inne. Erzählen Sie, dass diese Stolpersteine an ermordete Juden und Jüdinnen aus unserer Stadt erinnern. Erzählen Sie vom Völkermord an der jüdischen Bevölkerung. So helfen wir alle gemeinsam, gegen das Vergessen anzugehen und die antijüdischen Gefahren der Gegenwart abzuwehren.

Und das ist notwendiger denn je, wenn wir an die Ereignisse in Halle denken, an den geplanten Anschlag auf die Synagoge, sowie an den Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke. Solche Zeitungsnachrichten wie

„NRW ist eine rechte Hochburg. Über 400 antisemitische Straftaten an Rhein und Ruhr seit Januar 2018“ schrecken uns auf. Der Umgang in den Parlamenten ist verroht. Die AfD verbreitet völkische Untergangsszenarien und hat rechtsradikales Gedankengut für breite Bevölkerungsschichten salonfähig gemacht. Wir erlebten und erleben in vielen Städten fremdenfeindliche Straßenaufmärsche. Es ist beschämend, dass unsere jüdischen MitbürgerInnen wieder geschützt werden müssen und dass Judenhass in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Hier sind wir Demokraten gefordert!

Meine Generation hat Faschismus, Krieg, Judenverfolgung, Hunger, Not, die schrecklichen Bombennächte, nachts aufstehen und Schutz suchen am eigenen Leib erlebt. Mein Vater wurde 1933 als Lehrer entlassen, weil er in der SPD war,  er wurde als jüdisch-bolschewistisch in der Nazipresse diskriminiert. Diesen Presseausschnitt habe ich heute noch. Das alles prägte mich als Kind, als Kriegskind. Ich versuche, meine Lebenserfahrungen an die Jugend weiter zu geben: Ihr seid nicht schuld am Krieg und der Vergangenheit, aber verantwortlich für die Gegenwart, für heute. Lasst nie wieder Krieg und Faschismus zu, setzt euch ein für die Verständigung unter den Völkern! Danke für Ihre Aufmerksamkeit. 

Jetzt spricht zu Ihnen der 1. stellv. Bürgermeister, Herr Josef Willnecker. Ihm folgen Adnan Ljuna vom Integrationsrat, Falk Mikosch von der VVN-BdA NRW und Patrick Graf vom DGB Rhein-Berg. Musik: F. Kullmann/G. Schaler


Liebe Bürgerinnen und Bürger,

liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, 
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
liebe Kolleginnen und Kollegen,…
oder ganz einfach

liebe Gedenkende!
 

Wir brauchen - davon bin ich überzeugt-, Orte und Anlässe gemeinsamer Erinnerung.

So wie diese Gedenkstunde.

Diese Mahnwache wird in diesem Jahr zum 29. Mal in Bergisch Gladbach veranstaltet … ein gutes Zeichen, denke ich, dafür, dass die Beteiligten sich der historischen Verantwortung stellen. 

Wir blicken gemeinsam zurück auf diese Nacht, in welcher hier in Bergisch Gladbach, wie auch in ganz Deutschland, Menschen und ihr Eigentum zu Zielscheiben des Hasses und der Gewalt des Naziregimes wurden… 

Das Erinnern beschämt, bestürzt und irritiert – es schmerzt- und doch müssen wir leider feststellen: Die Bearbeitung und Aufarbeitung von Nazismus, Rassismus und Antisemitismus ist eine Aufgabe, die wir lange nicht in ihrer ganzen Dimension gesehen und daher auch nicht angemessen in Angriff genommen haben.

Aus den Verbrechen der Nazizeit müssen wir lernen, damit sich solche Grauentaten nicht mehr wiederholen können. Deshalb müssen wir die Geschichte aufarbeiten und unsere Erfahrungen in der Gegenwart anwenden.

Jetzt, mehr als 80 Jahre später, sind die Nachfolger der damaligen Nazis so stark wie nie zuvor. Nach der Wahl in Thüringen überlegt die CDU ernsthaft, mit der AfD zu koalieren. Dabei stellt sich für mich die Frage, ob man überhaupt mit Nazis reden sollte?

Zu den Grundsätzen einer Demokratie gehört es, miteinander zu reden und Konflikte verbal auszutragen. Daher wirkt es auf den ersten Blick durchaus legitim, wenn Rechtsextreme fordern, dass auch mit ihnen geredet wird. Wichtig ist, dass Rassismus und Hass nicht unwidersprochen stehen.

Für mich gibt es ein ganz klares -nein-!

Ich rede nicht mit Nazis,- solange die nur pöbeln,- bedrohen und alles niederschreien wollen. Sie wollen nicht diskutieren. -Sie wollen keine Argumente abwägen, kein reflektiertes Urteil fällen. Sie wollen provozieren, anpöbeln, bedrohen, niederschreien, ihre Ideologie verbreiten und ihre Aggressionen abladen bei jemandem, den sie als politischen Gegner oder einfach als hassenswerten Untermenschen ansehen. Wenn ihnen zu einem Thema nichts mehr einfällt, machen sie einfach ein nächstes auf, und die Predigt geht von vorne los. Sie wollen Minderheiten und Andersdenkende mundtot machen, ermüden, entmutigen. Immer wieder bringen sie die gleichen Ideologie-Versatzstücke, die sie als "Copy & Paste" bei "Vordenkern" der Szene aufgeschnappt haben. Das ist nicht nur dumm, sondern auch noch langweilig. Nein, ich möchte nicht mit Nazis und Rechtspopulist_innen reden. Wirklich nicht.

 

Ich bin sehr aktiv in der virtuellen Welt. Ich betreue und pflege einige Social Media Kanäle. Vor allem auf Facebook bin ich sehr aktiv. Auf dieser Plattform gibt es die Seite "Netz gegen Nazis", aber wenn ich mir manchmal die Kommentare in sozialen Netzwerken angucke dann heißt diese Seite für Neonazis offenbar "Netz für Nazis, die mal mit Andersdenkenden diskutieren wollen" oder "Netz für 'Ich bin kein Rassist, aber'- Generell haben sich Neonazis Social Media angenommen und versuchen gezielt sämtliche Diskussionen zu verhindern.

Mit Neonazis diskutieren bringt auch online nichts, denn sie hören auch dort nicht zu, sie lassen keine Belege gelten, gehen selten auf Argumente ein. In anderen Communities, in denen Neonazi-Beiträge nicht gelöscht werden, weil man es als Teil des redaktionellen Auftrags versteht, alle Kommentare zuzulassen, empfehle ich: Sich nicht von den Neonazis im eigentlichen Gespräch stören lassen. Anstatt mit ihnen in der Argumentation Lebenszeit zu verlieren, einfach gegen ihre hasserfüllte, rassistische, menschenfeindliche Aussage positionieren, sie benennen, gegebenenfalls widerlegen – und dann weitermachen mit den lösungsorientierten, sinnvollen Gesprächen.

Genau dieses Vorgehen ist sehr wichtig.

 

Es gibt im Internet stets nicht nur den postenden Aggressor, sondern auch eine große, schweigende, mitlesende Öffentlichkeit. Dieser gegenüber ist es sinnvoll, zu argumentieren oder sich zumindest zu positionieren, Rassismus zu benennen, sich gegen Vorurteile und Hass auszusprechen, an Netiquette, Diskussionsregel oder gegebenenfalls Strafgesetze zu erinnern.

Wichtig ist, dass Rassismus, Huldigungen des Nationalsozialismus oder Hass nicht unwidersprochen stehen. Denn wer schon einmal versucht hat, Rechtsextreme einfach machen zu lassen und zu hoffen, dass sie dann aufhören, der wird festgestellt haben: Stattdessen freuen die sich über den vermeintlichen Raumgewinn für ihre Ideologie und nutzen die Situation, um immer mehr und immer krassere Dinge zu verbreiten, ihre Ideologie zu feiern. Es ist wie bei rechtsextremen Demos: Einige Gemeinden haben versucht, sie in menschenleeren Straßen laufen zu lassen und Gegenproteste zu unterbinden – in der Hoffnung, die mangelnde Aufmerksamkeit würde die Neonazis entmutigen. Stattdessen folgte Anmeldung auf Anmeldung, denn in Städten mit Gegenprotest oder gar Blockaden sind Nazi-Demos viel unbequemer und frustrierender.

In der Publizistik gibt es die Theorie der Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann: Wer glaubt, dass die Mehrheit der Menschen andere Dinge denkt als man selbst, traut sich oft nicht mehr, die eigene Meinung zu äußern. Deshalb sollten wir, auch wenn es bisweilen anstrengend ist, gemeinsam aktiv und argumentativ daran arbeiten, dass es weder auf Veranstaltungen noch in sozialen Netzwerken so wirkt, als wären plötzlich so viele Menschen rassistisch, antisemitisch oder islamfeindlich, dass sich die vernünftigen Menschen nicht mehr trauen, sich am Gespräch zu beteiligen. Der Einsatz lohnt sich für die Unentschlossenen, für die Minderheiten, die angegriffen werden, und für das Klima in den sozialen Netzwerken und in der Gesellschaft.

Liebe Gedenkende,

das, was im Internet gilt, gilt selbstverständlich auch im realen Leben. Wir dürfen rechte Ideologien nicht unwidersprochen stehen lassen. Nicht beim Bäcker, nicht im Supermarkt und erst recht nicht im eigenen Freundes und Bekanntenkreis.

 

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

 

Patrick Graf