Ulrich Sander
"Mörderisches Finale – NS-Verbrechen bei Kriegsende"
herausgegeben vom Internationalen Rombergparkkomitee
Ulrich Sander ist Journalist und freier Autor. Bundessprecher der VVN-BdA. Zahlreiche Beiträge in Büchern und Zeitschriften mit dem Schwerpunkt Antifaschismus und Antimilitarismus. Veröffentlichte bei PapyRossa "Die Macht im Hintergrund – Militär und Politik in Deutschland".
PapyRossa, Köln 2008, ISBN 3894383887
192 Seiten, Euro 14,90
"Mörderisches Finale – NS-Verbrechen bei Kriegsende"
Ein Buch von Ulrich Sander
Vor drei Jahren waren Vertreter von Städten beim Internationalen Rombergparkkomitee in Dortmund zu Gast, die Opfer von Kriegsendphasenverbrechen zu beklagen haben, wie sie auch im Dortmunder Rombergpark und in der Bittermark verübt wurden. Die Berichte aus diesen Orten wurden von Ulrich Sander mit Berichten aus weiteren Städten in dem Buch "Mörderisches Finale – NS-Kriegsverbrechen bei Kriegsende" zusammengefasst.
Die Mordfeldzüge der Nazis in den letzten Kriegstagen kurz vor der Befreiung im Frühjahr 1945 richteten sich gegen tausende Nazigegner – gegen deutsche und ausländische Antifaschisten und gegen Wehrmachtssoldaten, die sich am Wahnsinn des von Hitler versprochenen und von vielen Deutschen immer noch erhofften "Endsiegs" nicht mehr beteiligen oder ihm ein Ende bereiten wollten. Autor Ulrich Sander ist aber auch aufgrund seiner Recherchen davon überzeugt, dass es noch ein zweites Ziel gab: Man wollte einen antifaschistischen Neubeginn nach dem "verlorenen Krieg" im Keime ersticken.
Auch Nachkriegsplanungen
SS, Gestapo, aber auch einfache NSDAP-Mitglieder, Volkssturmmänner und Hitlerjungen beteiligten sich an diesen Massakern im Ruhrkessel, an Erschießungen in vielen Städten und Dörfern, am Mord an Gefangenen aus KZs und Zuchthäusern auf Todesmärschen, an Standgerichten gegen Deserteure. Die Verbrechen in der allerletzten Phase des Krieges seien "sowohl örtliche Amokläufe als auch Teil der Nachkriegsplanungen des deutschen Faschismus" gewesen. Sander versucht mit seinem Buch, die Opfer dieses mörderischen Finales "dem Vergessen zu entreißen und die Täter zu benennen". Er liefert eine erste – wenn auch noch unvollständige – Gesamtdarstellung dieser Vorgänge, mit Personenregister.
Bereits bei der Buchpräsentation, so Sander auf der Jahrestagung des Internationalen Rombergparkkomitees (IRPK) am 20. März in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund, "mussten wir feststellen, dass mit der Herausgabe von 'Mörderisches Finale' die Arbeit an diesem Thema nicht abgeschlossen ist. So wurden uns Massaker am Kriegsende aus Sandbostel und Gandersheim gemeldet, über die wir im Buch noch nicht sehr viel aussagen konnten".
Zum ersten Mal seit langer Zeit war auch das Russische Komitee der Kriegsveteranen wieder mit einem Delegierten auf der Jahrestagung vertreten: Wladimir Gall hat 1945 zusammen mit dem späteren Filmregisseur Konrad Wolf ("Ich war 19") und einem weiteren Offizier hunderten Zivilisten in der Spandauer Zitadelle das Leben retten und so ein Kriegsendphasenverbrechen verhindern können. Nun wurde er mit 89 Jahren Mitglied des IRPK.
Aus einer Anklageschrift
Nach Dortmund kamen auch Verwandte des französischen Kesselschmieds Leon Chadirac aus St. Amand-les-Eaux, die erst durch das Buch von den näheren Umständen seiner Ermordung am Karfreitag 1945 erfahren hatten. Über Chadirac heißt es in der Anklageschrift des "Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof", er sei im Mai 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und nach "verschiedenartiger anderer Verwendung" im Mai 1942 der Firma Westfälische Union AG in Lippstadt zugeteilt worden. In Frankreich habe er während der Volksfrontregierung Leon Blums sozialistische und kommunistische Versammlungen besucht. In Lippstadt hätten er und andere Angeklagte sich auf der Grundlage "feindlicher Hetzsendungen" politisch abgestimmt, der "Grundton der Gespräche war kommunistisch" und: "Der Angeschuldigte Chadirac beschäftigte sich im Gespräch mit den Verhältnissen der deutschen und französischen Arbeiter und wünschte für sie den Kommunismus herbei. Er trat für ein Pan-Europa mit Einschluß Sowjetrußlands ein."
Platzierung von Nazis in der Nachkriegszeit
Neben den Opfern macht das Buch aber auch Täter aus Gestapo und SS öffentlich bekannt. Recherchen des Kriminalhistorikers und ehemaligen Kriminalkommissars Alexander Primavesi ergaben: "Allein sieben hohe Funktionäre aus dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin wurden nach 1945 bei der Dortmunder Polizei angestellt, darunter der Chefermittler im Führerhauptquartier gegen die Männer des 20. Juli 1944, Dr. Bernhard Wehner."
Der stellvertretende Leiter der Dortmunder Kriminalpolizei in den 50er Jahren, Dr. Rudolf Braschwitz, sei im Reichssicherheitshauptamt für das Referat "Bekämpfung des Kommunismus" tätig gewesen. "Leiter der Kriminalpolizei wurde der einstige Dortmunder Polizeioberst Stöwe, dem versuchter Mord an 30.000 Menschen vorgeworfen worden ist." Im Zuge der Kriegsendphasenverbrechen wollten Gauleiter Albert Hoffmann und Polizeioberst Stöwe 1945 tausende Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Bergwerken ertränken, was aber verhindert werden konnte.
Angesichts der Platzierung von Nazis in allen Ämtern der Nachkriegszeit wundert es nicht, im Archiv der VVN einen Brief zu finden, mit dem die Stadt Dortmund der VVN Dortmund am 12. September 1952 eine Gedenkfeier vor dem Forsthaus im Rombergpark zu "Ehren der Opfer der blutigen Karfreitags 1945" nur mit den Auflagen genehmigte, keinen geschlossenen An- und Abmarsch vorzunehmen, auf das Zeigen von FDJ-Emblemen zu verzichten, keine "hoch- und landesverräterischen" Inhalte zu präsentieren, in Reden nicht gegen Gesetze zu verstoßen, in Straßen keine Zettel zu kleben – und dies gemäß Kontrollratsgesetz, Grundgesetz und "§1 Abs. 2 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes vom 4.2.1933".
Suche nach den Tätern
Zu den Tätern gehörten nicht nur Juristen und Polizisten. Am 7. Januar erklärten Mitglieder der VVN-BdA und des IRPK bei einer Mahnwache vor dem Gelände der ehemaligen Springorum-Villa: "Hier, im Haus des Fabrikanten und Hoesch-Stahlkonzernchefs Friedrich Springorum in der Dortmunder Hainallee trafen sich am 7. Januar 1933 Franz von Papen und führende Ruhr-Industrielle, um über eine Regierungsbildung aus Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurde die Weichenstellung für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 erörtert und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Franz von Papen kam von einem Treffen mit dem Privatbankier Kurt von Schröder und dem NS-Führer Adolf Hitler in Köln. Viele Ruhrindustrielle unterstützten bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierten nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS." Auf der Mahnwache wurde gefordert, die Stadt solle ein Schild anbringen, auf dem über das Geschehen vom Januar 1933 berichtet wird.
Verantwortliche für Verbrechen der Wirtschaft
Nach der Herausgabe von "Mörderisches Finale" hat die VVN-BdA ein weiteres Projekt eingeleitet: "Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945". Es geht um das Zusammentragen von Berichten aus den Städten, in denen die Täter als Wehrwirtschaftsführer wirkten. Das Zusammentragen geschieht in Form einer Rallye durch NRW. Die Aktion vor dem Grundstück Springorum-Villa am 7. Januar war Teil dieser landesweiten Rallye, zu der von allem junge Menschen eingeladen sind. (CH)
Die Mordfeldzüge der Nazis in den letzten Kriegstagen kurz vor der Befreiung im Frühjahr 1945 richteten sich gegen tausende Nazigegner – gegen deutsche und ausländische Antifaschisten und gegen Wehrmachtssoldaten, die sich am Wahnsinn des von Hitler versprochenen und von vielen Deutschen immer noch erhofften "Endsiegs" nicht mehr beteiligen oder ihm ein Ende bereiten wollten. Autor Ulrich Sander ist aber auch aufgrund seiner Recherchen davon überzeugt, dass es noch ein zweites Ziel gab: Man wollte einen antifaschistischen Neubeginn nach dem "verlorenen Krieg" im Keime ersticken.
Auch Nachkriegsplanungen
SS, Gestapo, aber auch einfache NSDAP-Mitglieder, Volkssturmmänner und Hitlerjungen beteiligten sich an diesen Massakern im Ruhrkessel, an Erschießungen in vielen Städten und Dörfern, am Mord an Gefangenen aus KZs und Zuchthäusern auf Todesmärschen, an Standgerichten gegen Deserteure. Die Verbrechen in der allerletzten Phase des Krieges seien "sowohl örtliche Amokläufe als auch Teil der Nachkriegsplanungen des deutschen Faschismus" gewesen. Sander versucht mit seinem Buch, die Opfer dieses mörderischen Finales "dem Vergessen zu entreißen und die Täter zu benennen". Er liefert eine erste – wenn auch noch unvollständige – Gesamtdarstellung dieser Vorgänge, mit Personenregister.
Bereits bei der Buchpräsentation, so Sander auf der Jahrestagung des Internationalen Rombergparkkomitees (IRPK) am 20. März in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund, "mussten wir feststellen, dass mit der Herausgabe von 'Mörderisches Finale' die Arbeit an diesem Thema nicht abgeschlossen ist. So wurden uns Massaker am Kriegsende aus Sandbostel und Gandersheim gemeldet, über die wir im Buch noch nicht sehr viel aussagen konnten".
Zum ersten Mal seit langer Zeit war auch das Russische Komitee der Kriegsveteranen wieder mit einem Delegierten auf der Jahrestagung vertreten: Wladimir Gall hat 1945 zusammen mit dem späteren Filmregisseur Konrad Wolf ("Ich war 19") und einem weiteren Offizier hunderten Zivilisten in der Spandauer Zitadelle das Leben retten und so ein Kriegsendphasenverbrechen verhindern können. Nun wurde er mit 89 Jahren Mitglied des IRPK.
Aus einer Anklageschrift
Nach Dortmund kamen auch Verwandte des französischen Kesselschmieds Leon Chadirac aus St. Amand-les-Eaux, die erst durch das Buch von den näheren Umständen seiner Ermordung am Karfreitag 1945 erfahren hatten. Über Chadirac heißt es in der Anklageschrift des "Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof", er sei im Mai 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und nach "verschiedenartiger anderer Verwendung" im Mai 1942 der Firma Westfälische Union AG in Lippstadt zugeteilt worden. In Frankreich habe er während der Volksfrontregierung Leon Blums sozialistische und kommunistische Versammlungen besucht. In Lippstadt hätten er und andere Angeklagte sich auf der Grundlage "feindlicher Hetzsendungen" politisch abgestimmt, der "Grundton der Gespräche war kommunistisch" und: "Der Angeschuldigte Chadirac beschäftigte sich im Gespräch mit den Verhältnissen der deutschen und französischen Arbeiter und wünschte für sie den Kommunismus herbei. Er trat für ein Pan-Europa mit Einschluß Sowjetrußlands ein."
Platzierung von Nazis in der Nachkriegszeit
Neben den Opfern macht das Buch aber auch Täter aus Gestapo und SS öffentlich bekannt. Recherchen des Kriminalhistorikers und ehemaligen Kriminalkommissars Alexander Primavesi ergaben: "Allein sieben hohe Funktionäre aus dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin wurden nach 1945 bei der Dortmunder Polizei angestellt, darunter der Chefermittler im Führerhauptquartier gegen die Männer des 20. Juli 1944, Dr. Bernhard Wehner."
Der stellvertretende Leiter der Dortmunder Kriminalpolizei in den 50er Jahren, Dr. Rudolf Braschwitz, sei im Reichssicherheitshauptamt für das Referat "Bekämpfung des Kommunismus" tätig gewesen. "Leiter der Kriminalpolizei wurde der einstige Dortmunder Polizeioberst Stöwe, dem versuchter Mord an 30.000 Menschen vorgeworfen worden ist." Im Zuge der Kriegsendphasenverbrechen wollten Gauleiter Albert Hoffmann und Polizeioberst Stöwe 1945 tausende Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Bergwerken ertränken, was aber verhindert werden konnte.
Angesichts der Platzierung von Nazis in allen Ämtern der Nachkriegszeit wundert es nicht, im Archiv der VVN einen Brief zu finden, mit dem die Stadt Dortmund der VVN Dortmund am 12. September 1952 eine Gedenkfeier vor dem Forsthaus im Rombergpark zu "Ehren der Opfer der blutigen Karfreitags 1945" nur mit den Auflagen genehmigte, keinen geschlossenen An- und Abmarsch vorzunehmen, auf das Zeigen von FDJ-Emblemen zu verzichten, keine "hoch- und landesverräterischen" Inhalte zu präsentieren, in Reden nicht gegen Gesetze zu verstoßen, in Straßen keine Zettel zu kleben – und dies gemäß Kontrollratsgesetz, Grundgesetz und "§1 Abs. 2 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes vom 4.2.1933".
Suche nach den Tätern
Zu den Tätern gehörten nicht nur Juristen und Polizisten. Am 7. Januar erklärten Mitglieder der VVN-BdA und des IRPK bei einer Mahnwache vor dem Gelände der ehemaligen Springorum-Villa: "Hier, im Haus des Fabrikanten und Hoesch-Stahlkonzernchefs Friedrich Springorum in der Dortmunder Hainallee trafen sich am 7. Januar 1933 Franz von Papen und führende Ruhr-Industrielle, um über eine Regierungsbildung aus Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurde die Weichenstellung für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 erörtert und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Franz von Papen kam von einem Treffen mit dem Privatbankier Kurt von Schröder und dem NS-Führer Adolf Hitler in Köln. Viele Ruhrindustrielle unterstützten bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierten nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS." Auf der Mahnwache wurde gefordert, die Stadt solle ein Schild anbringen, auf dem über das Geschehen vom Januar 1933 berichtet wird.
Verantwortliche für Verbrechen der Wirtschaft
Nach der Herausgabe von "Mörderisches Finale" hat die VVN-BdA ein weiteres Projekt eingeleitet: "Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945". Es geht um das Zusammentragen von Berichten aus den Städten, in denen die Täter als Wehrwirtschaftsführer wirkten. Das Zusammentragen geschieht in Form einer Rallye durch NRW. Die Aktion vor dem Grundstück Springorum-Villa am 7. Januar war Teil dieser landesweiten Rallye, zu der von allem junge Menschen eingeladen sind. (CH)
Von Peter Kleinert
Auf den Internetseiten der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V.
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