Lesung aus einem Buch, das nicht zum »Dämmern« einlädt
»Winterdämmerung«
Am 5. März 2009 las der Kölner Schriftsteller Erasmus Schöfer in der Buchhandlung »Zentral-Antiquariat« in Leverkusen aus »Winterdämmerung«, dem letzten Teil seiner Zeitroman-Tetralogie »Die Kinder des Sisyfos«. Der Autor hatte dort schon vor vier Jahren im Rahmen der Leverkusener Buchwoche gelesen. Diesmal waren doppelt so viele Zuhörer seiner Enladung gefolgt.
In dem von Büchern bis unter die Decke voll gestapelten Buchantiquariat wurden auch diesmal die BesucherInnen nicht enttäuscht, auch der 77-jährige Schriftsteller war begeistert: »Wann hat man schon die Gelegenheit, in einer solchen Umgebung lesen zu können?«
Anschaulich wird aus den von Schöfer vorgelesenen Buchausschnitten ein Panorama der letzten Jahre der alten Bundesrepublik, in der »die Linke« zwischen Kapitalismus und real existierendem Sozialismus, Technikgläubigkeit und Raubbau an der Natur ihre politischen Positionen durchzusetzen versuchte. Im Kontext der vorangegangenen drei Bände wird an den verschiedenen Akteuren deutlich, wie tief greifend die Veränderungen seit den 1968ger Jahren in der Arbeiterklasse gewesen sind und wie die davon betroffenen Menschen damit umgingen. Diese Zeit der westdeutschen Linken bis zur deutsch-deutschen »Wiedervereinigung« wird vom Autor sehr realistisch dargestellt – selbst wenn man die eine oder andere Wertung nicht teilt.
»Wie sag ich's meinem Kinde?« lautet der letzte Satz des Abschnitts, aus dem Schöfer las. In der anschließenden Diskussion mit den Zuhörern konnte man feststellen, dass es in der Tat nicht nur um Reflektionen und Erinnerungen ging, sondern durchaus um Gegenwartsfragen, die sich aus dem Roman ableiten lassen, z.B. um die Rolle der Gewerkschaften heutzutage. Dass dies notwendig ist, hatte bei einer Lesung im Berliner Willy Brandt-Haus die Frage von Bundestagsvize Wolfgang Thierse deutlich gemacht, der – nach einem Bericht des »Vorwärts« – wissen wollte, welche Errungenschaften, die zwischen 1968 und 1989 gemacht wurden, nun der Vergangenheit angehören würden? Schöfer antwortete ihm darauf: »Die Kinder des Sisyfos sind diejenigen, die nicht aufgeben. Es ist ihre eigene Bestimmung, ihr Trieb, die Welt zu verändern. Genau wie der mythische Held resignieren sie nie, auch wenn sie einmal scheitern.«
In diesem Sinne verhielt sich Erasmus Schöfer auch in Leverkusen und traf dabei die Stimmung der meisten Anwesenden, die trotz des Titels das Buch als Ansporn empfanden, gegen das gegenwärtige Dahindämmern aktiv zu werden. »Ich würde mir wünschen, dass vor allem junge Menschen diesen Roman lesen«, sagte er, »damit sie erfahren, wie es damals war.«
Gewürdigt wurde an diesem Abend auch bei Brot und Wein, begleitet von der Band »Lys«, das verdienstvolle zwanzigjährige Wirken von Christine Weihermüller in ihrem »Zentral-Antiquariat« auf der Lichstrasse, die mit Veranstaltungen wie dieser ebenfalls einer resignativen Stimmung entgegen zu wirken versucht.
Manfred Demmer
Erasmus Schöfers »Die Kinder des Sisyfos«
Bd.1 »Ein Frühling irrer Hoffnung«,
Bd.2 »Zwielicht« und
Bd.3 »Sonnenflucht«,
Bd.4 »Winterdämmerung«
Dittrich VerlagKöln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
Eine Rezension des 4. Bandes »Winterdämmerung« von Ulla Lessmann finden Sie unter dem Titel »Sisyfos resigniert nicht« in NRhZ 168
Zentral-Antiquariat Leverkusen